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Eine alternative Weihnachtsgeschichte

„DAS SEIN BESTIMMT DAS BEWUSSTSEIN“ (K. Marx)

In einer kleinen Stadt, vielleicht irgendwo zwischen den zerbombten Häusern der Ukraine, den staubigen Lagern des Südsudan oder den brennenden Trümmern im Nahen Osten, geschah etwas Unerwartetes. Es war ein kalter, stiller Abend, der Himmel verhangen mit Rauch und Tränen. Inmitten dieses Schmerzes brachte eine Frau ein Kind zur Welt. Sie hatte keinen Platz in einer warmen Klinik gefunden, sondern gebar ihr Kind in einer verlassenen Ruine, auf einem Bett aus Asche und Lumpen.

Das Kind war winzig, doch seine Augen waren groß, als würde es die Welt durchdringen. “Du wirst Lazarus heißen”, flüsterte die Mutter, “denn wie er wirst du aus der Armut geboren, und doch, so hoffe ich, wirst du auferstehen und die Welt verändern.”

Die Nachricht von der Geburt verbreitete sich wie ein Flüstern im Wind, von Lager zu Lager, von Stadt zu Stadt. Menschen kamen, um das Kind zu sehen – die Verzweifelten, die Hungernden, die Entrechteten. Es schien, als läge eine Wärme über dem Ort, die die frostige Nacht durchbrach. Doch nicht alle Besucher kamen mit leeren Händen und schweren Herzen.

Eines Nachts erschienen drei Herrscher, jeder in einem anderen Gewand. Der erste war ein General, der zweite ein Wirtschaftsmagnat, der dritte ein mächtiger Politiker. Sie hatten von dem Kind gehört und waren neugierig, was dieses armselige Leben bedeuten sollte.

Der General sprach: “Ein Kind in Asche geboren? Ein schwaches Leben, das die Kälte kaum überleben wird. Es wird von Krieg zermalmt werden wie so viele vor ihm. Hoffnung ist eine Illusion.”

Der Magnat fügte hinzu: “Es fehlt ihm an allem – Nahrung, Geld, Schutz. Was kann ein Kind ohne Besitz schon ausrichten? Sein Bewusstsein wird nichts anderes kennen als die Armut, die es umgibt. Das Sein bestimmt das Bewusstsein, nicht wahr?”

Doch der Politiker schwieg lange. Schließlich sagte er: “Und doch. Seht, wie die Menschen um dieses Kind versammelt sind. Es ist ein Symbol, ein Zeichen. Vielleicht werden sie ihm folgen – nicht wegen seines Reichtums oder seiner Stärke, sondern weil es uns daran erinnert, was wir vergessen haben: Menschlichkeit.”

Die Herrscher zogen sich zurück, ratlos, jeder gefangen in seinen eigenen Gedanken. Das Kind blieb, schlafend in den Armen seiner Mutter.

In den Wochen und Monaten, die folgten, geschah etwas Seltsames. Jene, die das Kind gesehen hatten, begannen sich zu ändern. Sie teilten, was sie hatten – ein Stück Brot, einen Mantel, ein wärmendes Feuer. Aus den Trümmern bauten sie Unterkünfte, und aus den Flüssen tränkten sie dürres Land. Sie hörten auf zu fragen, wer schuld war an ihrem Leid, und begannen, sich gegenseitig zu helfen.

Das Kind wuchs heran, und es sprach nicht viel. Aber wenn es sprach, dann mit einer Kraft, die die Menschen innehalten ließ: “Man sagt, das Sein bestimmt das Bewusstsein. Doch was, wenn wir das Sein ändern? Was, wenn wir nicht länger geben, was uns trennt, sondern teilen, was uns verbindet?”

Die Herrscher hörten diese Worte und sahen die Veränderung unter den Menschen. Es war eine stille Revolution, die in den Herzen begann. Und so, inmitten der Dunkelheit, begann ein Licht zu scheinen – nicht das Licht von Reichtum oder Macht, sondern das Licht einer Hoffnung, die von unten kam, von jenen, die am wenigsten hatten, und doch bereit waren, alles zu geben.

Wie einst Lazarus aus der Armut auferstand, so wurde dieses Kind, geboren in Asche, zu einem Symbol für eine Welt, die sich selbst heilen könnte. Es war keine einfache Heilung, und sie war nicht ohne Opfer. Doch die Menschen fanden Kraft in der Erinnerung, dass ein Kind geboren worden war, nicht in einem Palast, sondern in einer Ruine, und dass aus dieser Ruine etwas Neues wachsen konnte.

So endet diese Geschichte, nicht mit einem großen Triumph, sondern mit einem leisen, hoffnungsvollen Beginn. Und vielleicht, nur vielleicht, wird eines Tages die Welt das Sein verändern – nicht durch die Herrschenden, sondern durch die Hoffnung, die in jedem Neugeborenen liegt.

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